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Wissenschaftliche Studie zur kompletten Androgenresistenz (CAIS)

CAIS-Studie

Teilnehmerinnen gesucht – Überprüfung der Wirksamkeit einer Hormontherapie mit männlichen Geschlechtshormonen zur Verbesserung der Lebensqualität

Lübeck – In Lübeck findet die erste öffentlich geförderte klinische Arzneimittelstudie für Frauen mit kompletter Androgenresistenz statt (Complete Androgen Insensitivity Syndrome, CAIS). Ziel der Untersuchung aus dem Bereich Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung/ Intersexualität, die zusammen mit fünf weiteren Zentren in Deutschland durchgeführt wird, ist eine verbesserte Lebensqualität der Betroffenen. Frauen mit CAIS sind zur Teilnahme an der Studie aufgerufen.


Bei der kompletten Androgenresistenz handelt es sich um eine angeborene Veränderung der Geschlechtsentwicklung. Betroffene Menschen haben einen männlichen (46, XY) Chromosomensatz und innen liegende Hoden. Durch das Fehlen des Androgenrezeptors können aber die männlichen Hormone nicht zur Wirkung kommen. Das äußere Geschlecht des Neugeborenen ist komplett weiblich und äußerlich völlig unauffällig. Die Kinder wachsen als Mädchen auf und durchlaufen eine weibliche Pubertät. Da aber eine Gebärmutter nicht entwickelt ist, fallen die Mädchen durch das Ausbleiben der Regelblutung auf.

Vielen Betroffenen mit kompletter Androgenresistenz wurden in der Vergangenheit die Keimdrüsen entfernt, da man das Auftreten von Krebs vermutete. Im Anschluss erhielten sie eine Hormontherapie mit weiblichen Geschlechtshormonen, unter der Annahme, dass Frauen generell ausschließlich weibliche Hormone benötigen. Dieses Vorgehen widerspricht aber der bisherigen körpereigenen Hormonversorgung bei Frauen mit CAIS. Einige betroffene Frauen klagen über körperliche und seelische Beschwerden unter dieser Behandlung und haben in Selbstversuchen eine Therapie mit männlichen Geschlechtshormonen ausprobiert.

Die unterschiedlichen Ansätze einer Therapie mit männlichen oder weiblichen Hormonen werden nun wissenschaftlich unter der Leitung von Prof. Dr. Olaf Hiort in Lübeck überprüft. Sechs Zentren in Deutschland (Lübeck, Berlin, Dortmund, Tübingen, Regensburg und München) beteiligen sich an der Untersuchung. Die Forscher erwarten weitreichende Erkenntnisse zu den Wirkungen von Hormonen und möglicherweise völlig neue Empfehlungen zur Hormontherapie bei kompletter Androgenresistenz.

In der Untersuchung sollen die Frauen zeitlich versetzt mit weiblichen und männlichen Geschlechtshormonen behandelt werden, um herauszufinden, welche Hormonersatztherapie den Bedürfnissen bei CAIS besser gerecht wird. Für jeweils sechs Monate werden Testosteron und Estradiol täglich als Gel zum Auftragen auf die Haut gegeben. Weder die Probandin noch der Arzt wissen, welches Präparat zu welchem Zeitpunkt gegeben wird. Dieses Verfahren wird als „doppelblind“ bezeichnet und dient der objektiven Gewinnung von Studiendaten.

Die Forschungen zu den Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (Differences of Sex Development, DSD) in Lübeck finden im Zentrum für DSD an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin und im Rahmen des neu eingerichteten Zentrums für seltene Erkrankungen statt. Die Studie zur kompletten Androgenresistenz ist die erste öffentlich geförderte klinische Arzneimittelstudie für Frauen mit CAIS. Bislang fehlen zu seltenen Erkrankungen wie den Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung klinische Studien für eine patienten-orientierte Behandlung. Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität.

Seit Beginn der Lübecker Studie im November 2011 haben zahlreiche Betroffene teilgenommen. Sie profitieren von der engen ärztlichen Begleitung und, falls gewünscht, von der psychologischen Beratung. Für die Teilnahme werden weiterhin Frauen mit kompletter Androgenresistenz gesucht, denen die Keimdrüsen vor mehr als einem Jahr entfernt wurden. Eine persönliche Kontaktaufnahme ist möglich über die Studienzentrale in Lübeck. Die Studienkoordination liegt bei Dr. Wiebke Birnbaum und Dipl.-Psych. Louise Marshall. Reisekosten werden erstattet.

Das komplexe Thema Intersexualität wird in Politik und Öffentlichkeit verstärkt diskutiert. Betroffene Menschen beklagen, dass die strikte Einteilung in Mann und Frau intersexuelle Menschen in der Gesellschaft diskriminiert. Der Ethikrat des deutschen Bundestages hat daher 2012 im Auftrag der Bundesregierung eindeutige Empfehlungen zur Verbesserung der medizinischen und psychosozialen Versorgung sowie zum Umgang mit Intersexuali-tät in der Gesellschaft erarbeitet.

Eine zentrale Forderung des Ethikrates ist es, intersexuellen Menschen Zugang zur Versorgung in einem Kompetenzzentrum zu ermöglichen. Nach der Änderung des Personenstandsgesetzes im November 2013 ist es Eltern erlaubt, die Geschlechtszuordnung im Geburtenregister bei einem Kind mit uneindeutiger Geschlechtszugehörigkeit offen zu halten.

Weitere Informationen:
http://www.cais-studie.de

(Pressemitteilung der Universität zu Lübeck, 27.6.2014)

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