Neues Krankheitsbild entdeckt
Blasenentleerungsstörung, veränderte Pupillenmotorik, verminderte Schweißsekretion und Untergewicht
Tübingen (idw) – Wissenschaftler des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH) am Universitätsklinikum Tübingen haben mit Kollegen der Universitäts-Augenklinik ein neues Krankheitsbild identifiziert. Ursache der Erkrankung ist ein defektes Protein, das in der Signalverarbeitung im vegetativen Nervensystem eine zentrale Rolle spielt (muskarinerger Rezeptor Subtyp 3). Die bei dem Patienten beobachtete Symptomkombination einer Blasenentleerungsstörung, veränderten Pupillenmotorik verminderten Schweißsekretion und Untergewicht ermöglicht erstmalig eine präzise Einschätzung der funktionellen Bedeutung dieses Proteins beim Menschen. (Neurology – doi: 10.1212/WNL.0b013e31820a0a75 Neurology February 1, 2011 vol. 76 no. 5 451-455)
Die Tübinger Neurologen Dr. Jörn Pomper und Prof. Dr. Thomas Haarmeier vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung beschreiben zusammen mit ihren Kollegen des Zentrums für Neurologie, der Tübinger Universitäts-Augenklinik, der Universitätsklinik für Urologie, des Helios Klinikums in Wuppertal und Pharmakologen der Universität Camerino in Italien das neue Krankheitsbild bei einem Patienten, der sich mit Schmerzen aufgrund häufiger Blasenentzündungen vorstellte. Die ausführliche Untersuchung offenbarte nicht nur eine schwere Blasenentleerungsstörung, sondern auch extrem weite, auf Licht und Nähe nicht reagierende Pupillen, was eine Systemerkrankung des vegetativen Nervensystems nahelegte. Die augenärztliche Untersuchung ebnete den Weg zur Aufklärung der zugrunde liegenden Erkrankung, insofern sie eine Störung in der Informationsübertragung vom Nerven auf den die Pupillenweite steuernden Muskel nachwies. Ergänzt um eine umfangreiche Untersuchung des vegetativen Nervensystems zeigte sich neben der Störung der Blasenentleerung und der Pupillenmotorik eine verminderte Schweißsekretion und ein leichtes Untergewicht. Diese Symptomkombination ließ die Tübinger Forscher um Jörn Pomper auf den Defekt eines spezifischen Rezeptorproteins (muskarinerger Rezeptor Subtyp 3) schließen. Eine verblüffende Übereinstimmung dieses Krankheitsbildes mit den Merkmalen genveränderter Mäuse, die über diesen Rezeptor nicht verfügen, und der Nachweis einer erheblich verminderten Konzentration des Rezeptors bei dem Patienten stützen die Schlussfolgerung.
„Die neuen Erkenntnisse zu diesem Protein sind für die pharmakologische Forschung interessant, da der Rezeptor bei verschiedenen Erkrankungen wie zum Beispiel Blasenentleerungsstörungen und Übergewicht als therapeutischer Angriffspunkt geeignet sein dürfte,“ so die Einschätzung von Jörn Pomper. Außerdem können Nebenwirkungen von Psychopharmaka, die nicht selten auf den Rezeptor Einfluss nehmen, besser abgeschätzt werden.
(Pressemeldung des Hertie Instituts für klinische Hirnforschung auf idw-online.de)