Neue Tumormarker bestimmen Therapieintensität
Erbgut kindlicher Hirntumoren gibt genaue Hinweise auf Verlauf der Erkrankung / Heidelberger Wissenschaftler veröffentlichen im „Journal of Clinical Oncology“
Heidelberg (ukh) – Charakteristische Veränderungen im Erbgut eines bösartigen Hirntumors im Kindesalter, des Medulloblastoms, zeigen präzise an, wie aggressiv sich der Tumor weiterhin ausbreiten wird und wie die Heilungschancen stehen. Diesen Zusammenhang haben Wissenschaftler des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums entdeckt. Mit Hilfe der neuen Tumormarker kann die Therapie in ihrer Intensität individuell angepasst und ihre schädigende Wirkung vermindert werden. Die Ergebnisse sind jetzt online im renommierten „Journal of Clinical Oncology“ veröffentlicht worden.
Medulloblastom ist häufigster Hirntumor bei Kindern
Der häufigste bösartige Hirntumor im Kindesalter ist das Medulloblastom: Mehr als 100 Kinder erkranken jährlich in Deutschland an diesem Tumor des Kleinhirns; rund 40 Kinder sterben daran. Häufig treten die ersten Symptome im Grundschulalter auf; allerdings erkranken auch Kleinkinder und Säuglinge an dem Tumor, der bereits während der Entwicklung im Mutterleib angelegt sein kann. Die aggressive Radiochemotherapie nach der Operation kann das Gehirn der Heranwachsenden dauerhaft schädigen und z.B. zu Koordinationsstörungen und eingeschränktem Wachstum führen.
„Mit Hilfe der charakteristischen Veränderungen im Erbgut der Medulloblastome können wir genauer als mit gängigen Methoden vorhersagen, wie ein Patient auf die Therapie anspricht und wie groß das Risiko ist, dass der Tumor nach der Operation und anschließender Radiochemotherapie zurückkehren wird“, erklärt Dr. Stefan Pfister, der mit seinem Team in der Abteilung für Pädiatrische Onkologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Dr. Andreas Kulozik) und in der Abteilung Molekulare Genetik am Deutschen Krebsforschungszentrum (Leiter: Professor Dr. Peter Lichter) forscht. Bisher konnten Onkologen dieses Risiko nur anhand histologischer Befunde, des Alters bei Diagnosestellung und dem Vorhandensein von Metastasen bei Diagnosestellung abschätzen.
Patienten mit schlechter Prognose können intensiver behandelt werden
Die neuen Tumormarker im Medulloblastom beschrieb Stefan Pfister zusammen mit seiner Arbeitsgruppe erstmals im Jahr 2007. Für die aktuelle Arbeit untersuchte er Tumorproben von 340 Patienten und verglich den dokumentierten Krankheitsverlauf mit der Art der Veränderungen im Erbgut. Veränderungen zeigten sich auf Ebene der Chromosomen, den Einheiten, in die das gesamte Erbgut aufgeteilt und verpackt wird. Jedes Chromosom beherbergt große Mengen an Erbinformation; so ist die gesamte Erbinformation des Menschen auf 23 solcher Portionen verteilt, die jeweils in zwei Kopien vorliegen (2 x 23 Chromosomen). Stefan Pfister fand heraus: Sind im Erbgut der Gehirntumoren ganze Abschnitte der Chromosomen Nummer 6 und 17 dreifach vorhanden (anstatt der normalen zwei Kopien), ist die Prognose des Patienten schlecht. Fehlt dagegen eine Kopie von Chromosom 6 im Tumor, überlebten die Patienten in der beobachteten Kohorte immer. Aus der Kombination dieser und weiterer Merkmale ergab sich eine Einteilung der Patienten in insgesamt fünf Gruppen mit unterschiedlichen Ansprüchen an die Therapieintensität.
„Mit diesen Markern können wir Patienten mit schlechter Prognose zuverlässig identifizieren und von Anfang an intensiver behandeln“, so Dr. Stefan Pfister. „Gleichzeitig können wir die Therapieintensität bei den Patienten senken, die voraussichtlich besonders gut auf die Radiochemotherapie ansprechen. So verringern wir Folgeschäden und das Risiko von weiteren Tumoren.“
Ein weiterer Vorteil der neuen Marker: Der Nachweis kann unkompliziert und innerhalb von 48 Stunden in jedem neuropathologischen Labor an konventionell in Paraffin konservierten Gewebeproben durchgeführt werden.
BMBF fördert Suche nach weiteren Tumormarkern
Die Validierung dieser Marker an einem unabhängigen Patientenkollektiv und die Suche nach den einfachsten Analysemethoden ist nun das Ziel eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes „Molekulare Diagnostik“, an dem sich unter der Koordination von Dr. Stefan Pfister die Universitätskliniken Bonn, Mainz, Düsseldorf, Würzburg und Heidelberg sowie das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg beteiligen.
Weitere Informationen finden Sie unter: Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Heidelberg