Nature: Saarländische Wissenschaftler identifizieren wichtiges menschliches Geruchs-Gen
Saarbrücken (idw) – Was haben Schmerzempfinden und die Wahrnehmung von Gerüchen miteinander zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Auf genetischer Ebene aber sehr viel. Wie saarländische Wissenschaftler nun gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien, den USA und Frankreich herausgefunden haben, ist ein einziges Gen dafür verantwortlich, dass Menschen sowohl Schmerz als auch Düfte wahrnehmen können. Bei Patienten mit einem Funktionsausfall dieses Gens, das die Bezeichnung SCN9A trägt, fehlen diese beiden wichtigen Sinnesempfindungen.
Die neuen Ergebnisse zeigen detailliert, wie die Funktion dieses Gens zu einer direkten Kontrolle der gesamten Nervenaktivität des Geruchssystems führt. Diese Erkenntnisse wurden jetzt im renommierten Fachmagazin Nature veröffentlicht.
Seit 2006 sorgen Studien über das fehlende Schmerzempfinden bei einer bestimmten Gruppe von Patienten in der Fachwelt für Aufsehen. Diese Patienten brechen sich zum Beispiel die Knochen, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Da dieser Defekt besonders oft in bestimmten Familien vorkommt, haben die Wissenschaftler eine genetische Veränderung dahinter vermutet. Tatsächlich konnte ein einziges Gen identifiziert werden, das für das fehlende Schmerzempfinden verantwortlich ist. Dabei handelt es sich um das Gen mit der Bezeichnung SCN9A, das einen bestimmten Natrium-Ionenkanal kodiert. Trägt dieses Gen eine spezifische Mutation, so kann dieser Natrium-Kanal vom Körper nicht hergestellt und in die Zellmembran der schmerzempfindlichen Nervenzellen eingebaut werden. Die Folge ist, dass keine Nervenreize mehr weitergeleitet werden können, so dass letztendlich im Gehirn kein Schmerzempfinden ausgelöst werden kann.
„Wir haben uns gefragt, ob derselbe Natrium-Kanal auch für die Funktion der Nervenzellen im Riechsystem wichtig sein könnte“, erklärt Professor Frank Zufall, Leiter der Abteilung „Molekulare Medizin Sensorischer Systeme“ am Institut für Physiologie der Universität des Saarlandes in Homburg und federführender Wissenschaftler der Geruchs-Studie, die Fragestellung des „Nature“-Artikels.
Nachdem das Forscherteam herausfinden konnte, dass dieser spezielle Natrium-Kanal namens Nav1.7 auch stark in den olfaktorischen Sinneszellen der Nase vorhanden ist, stellte sich die Frage nach der konkreten Funktion dieses Kanals. Dazu wurde das Gen in den Riechsinneszellen von Mäusen ausgeschaltet. Tatsächlich zeigten diese Mäuse, genau wie die Patienten mit einem veränderten SCN9A-Gen, einen völligen Ausfall ihres Geruchssystems, ein Zustand, der als „generelle Anosmie“ bezeichnet wird.
Dabei hatten die Wissenschaftler eine harte Nuss zu knacken: „Das Schwierige war, dass die Sinneszellen in der Nase, die am Anfang der Wahrnehmung stehen, nach wie vor auf Düfte reagieren und Aktionspotenziale feuern, wenn der Nav1.7-Kanal ausgeschaltet ist“, erklärt Frank Zufall. Das heißt, die Zellen in der Nase funktionieren trotz defektem Gen einwandfrei und leiten elektrische Reize, die von Düften ausgelöst werden, weiter. Die Forscher mussten also weitersuchen, bis sie herausfanden, dass bei fehlendem Nav1.7-Kanal im Verlauf des Geruchsnervs, an der ersten Schaltstelle zum Gehirn, die Reizweitergabe in Richtung Gehirn völlig blockiert war.
Die Wissenschaftler haben damit eine neue Strategie entwickelt, um menschliche Gene, die für das Riechen verantwortlich sind, zu identifizieren und ihre Funktionsweise zu entschlüsseln: Sie suchen nach Genen, die für den Defekt eines Sinnessystems – hier Schmerzempfinden – verantwortlich sind, und überprüfen, ob dieselben Gene auch für andere Sinnessysteme – hier das Riechen – benutzt werden. Das hat pragmatische Gründe: „Vielleicht gibt es ja auch Patienten mit angeborener Taubheit oder Blindheit, die gleichzeitig nicht riechen können“, erklärt Professor Zufall dieses Vorgehen. Die Gene, die den menschlichen Geruchssinn steuern, sind bisher so gut wie unbekannt.
Neben der Identifizierung des ersten menschlichen Gens, das die Nervenübertragung des gesamten Geruchssystems direkt steuert, sowie einem besseren molekularen Verständnis unserer Sinnessysteme kann diese Arbeit auch ganz konkrete Anwendungen möglich machen. „Die Erkenntnisse sind von großem kommerziellen Interesse, da der Nav1.7-Natriumkanal einen wichtigen Angriffspunkt für die Herstellung neuartiger Schmerzmittel darstellt“, erklärt Frank Zufall. Damit können potentielle Nebenwirkungen dieser Medikamente besser verstanden werden.
(Pressemeldung der Universität des Saarlandes auf idw-online.de)