HTA-Bericht zu Autismus bei Kindern: Frühinterventionen können helfen
Köln (dimdi) – Eine frühzeitige verhaltens- oder fertigkeitenbasierte Behandlung autistischer Kinder scheint zentrale Symptome der Krankheit zu verbessern. Darauf lassen Studien schließen, die ein jetzt vom DIMDI veröffentlichter HTA (Health Technology Assessment)-Bericht bewertet. Die Therapie benötige dabei eine gewisse Intensität, so die Autoren. Um dafür ein erforderliches und sinnvolles Mindestmaß anzugeben, reiche jedoch die derzeitige Studienlage nicht aus.
Der HTA-Bericht untersucht auf Basis einer systematischen Literaturrecherche Wirksamkeit und Sicherheit bestimmter Frühinterventionen bei autistischen Kindern bis zu zwölf Jahren. Er bezieht sich auf speziell für diese Kinder entwickelte verhaltens- oder fertigkeitenbasierte Behandlungsformen. Die Autoren definieren diese als Therapien, die Verhalten, funktionelle Fertigkeiten oder den Entwicklungsprozess der Kinder verbessern sollen und dazu verhaltenstherapeutisch vorgehen oder spezifische Fertigkeiten trainieren.
Für die im Bericht untersuchten Therapieformen existierten keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege. Welche Frühintervention bei welchen Kindern mit Autismus am wirksamsten ist, sei derzeit nicht zu beantworten. Zur Kosten-Effektivität sowie ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten konnten die Autoren keine geeigneten Publikationen identifizieren.
Studien unzureichend für klare Aussagen
Der Mangel an hochwertigen Untersuchungen ließe derzeit keine soliden Aussagen zu, so die Autoren des Berichts. Am wirksamsten erscheinen ihnen verhaltensanalytische Programme nach dem Lovaas-Modell (early intensive behavioural treatment/EIBT, applied behavioural analysis/ABA). Dies gelte vor allem, wenn sie klinikbasiert durchgeführt werden.
Vorschulkinder mit Autismus verbesserten durch verhaltensbasierte Interventionen mit einer Mindestintensität von 20 Stunden pro Woche beispielsweise Sprache, Sprachverständnis und Kommunikation. In den Studien mit den besten Ergebnissen beschleunigte sich die Entwicklungsrate bei bis zur Hälfte der Kinder deutlich. Eine frühe Behandlung könne die Kernsymptome des Autismus demnach erreichen, folgern die Autoren. Die Effekte fielen allerdings geringer aus, wenn weniger intensiv behandelt werde. Welche Mindestintensität erforderlich und sinnvoll sei, bleibe derzeit unklar. Auch seien keine verantwortlichen Wirkkomponenten auszumachen.
Familien unterstützen
Frühinterventionsprogramme bei Autismus sollten die Eltern mit einbeziehen, fordern die Autoren. Sie erschienen am erfolgreichsten, wenn sie Familien Kompetenzen im Umgang mit den betroffenen Kindern vermittelten. So zeige sich, dass die Kommunikation der Kinder von einem Elterntraining mehr profitiere als von einer Routinebehandlung mit gemischten Therapieelementen.
Aussagen zur Kosten-Effektivität früher Interventionen bei autistischen Kindern seien zwar aufgrund der mangelhaften Datenlage nicht möglich. Jedoch könnten effektive Therapieprogramme die Gesamtkosten des Autismus langfristig reduzieren, wenn eine später bessere soziale Anpassung die zunächst anfallenden hohen Kosten überkompensiere. Die Autoren halten weitere Studien möglichst im deutschen Gesundheitssystem für erforderlich, denn sowohl internationale klinische als auch gesundheitsökonomische Studien sind nur unzureichend auf Deutschland übertragbar.
Das autistische Syndrom
Autistische Menschen benötigen oft ihr gesamtes Leben lang Unterstützung und Betreuung. Sie verhalten sich in unterschiedlichem Maß stereotyp und besitzen bestimmte Sonderinteressen. Wahrnehmung, emotionale Reaktionen, Sozialverhalten und Kommunikationsmuster sind beeinträchtigt. Auch unspezifische, tiefgreifende Entwicklungsstörungen werden beobachtet.
Die wichtigsten Therapien bei Autismus erfolgen nicht-medikamentös. Verhaltensbasierte Frühinterventionen sollen die Entwicklung autistischer Kinder begünstigen, ihr Verhalten beeinflussen und familiäre sowie soziale Bindungen fördern. Ihre systematische Anwendung und Evaluation ist in Deutschland bisher selten.
An intensive verhaltensbasierte Frühinterventionen werden laut Autoren hohe Erwartungen geknüpft. Sie erwähnen US-Studien, in denen ein bedeutender Teil der Kinder ein Intelligenzniveau im Normbereich Gleichaltriger erreichte und normale Schulen besuchen konnte. Allerdings zeigten diese Arbeiten methodische Mängel und Selektionseffekte. Neuere Untersuchungen seien notwendig, um Hinweise zu erhalten, welche Frühinterventionen auch in Deutschland gefördert werden sollten.
Verfasst hat den Bericht eine Autorengruppe um Prof. Wolfgang Greiner (Universität Bielefeld) und Prof. Stefan Willich (Charité, Humboldt-Universität Berlin). Das DIMDI hatte die Autoren im Rahmen seines Programms zur Bewertung gesundheitsrelevanter Verfahren und Technologien damit beauftragt.
Verhaltens- und fertigkeitenbasierte Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus (Stefan Weinmann, Christoph Schwarzbach, Matthias Begemann, Stephanie Roll, Christoph Vauth, Stefan N. Willich, Wolfgang Greiner)
(Pressemeldung des Deutschen Instituts für
Medizinische Dokumentation und Information