Behindertenrechtskonvention braucht langen Atem
Von kobinet-Korrespondent Franz Schmahl
Berlin (kobinet-nachrichten) – Der Deutsche Bundestag hat endlich die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratizifiert. Zwei Jahre nach der Verabschiedung durch die UN-Vollversammlung verpflichtete sich Deutschland nun, das internationale Übereinkommen in nationales Recht umzusetzen. Die in der Nacht zum Freitag getroffene Entscheidung unter der Reichstagskuppel ist in der Öffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommen worden.
Die großen Medien fanden andere Themen wichtiger als einen Vorgang im Parlament, der keine große Debatte vorsah, sondern am Ende eines Beratungstages noch abgehakt werden musste. Grüne und Linke kritisierten, dass die Bundesregierung in der deutschen Übersetzung die Konvention abschwächen und aus der ersten Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf ableiten wollte.
Es war spät in der Nacht – so Oliver Tolmein heute in seinem Blog für die Frankfurter Allgemeine Zeitung – die Bundestagsabgeordneten hatten schon über alle schwierigen Fragen des Lebens (z.B. dem Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung) hinreichend viel gesagt, da legte Bundestagsvizepräsident Thierse den Abgeordneten nochmal rasch ein paar Menschenrechte vor: alle, die zustimmen wollen, sollen aufstehen … so wurde das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ vom bundesdeutschen Gesetzgeber in der Art einer Standup-Politics aufrecht aber schweigend ratifiziert.
Das UN-Übereinkommen, das inzwischen von rund 40 Staaten ratifiziert worden und seit Sommer dieses Jahres in Kraft ist, garantiert Menschen mit Behinderungen umfassende rechtliche und soziale Gleichberechtigung sowie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wie aus der Berichterstattung dieses Nachrichtendienstes und den Reaktionen seiner Leserinnen und Leser hervorgeht, wird das nicht ohne Kampf und langen Atem der Betroffenen zu erreichen sein.
Der Deutsche Behindertenrat hat am 3. Dezember die Knackpunkte umrissen. Es geht um die Abwehr von Kürzungen im sozialen Bereich, Investitionen in eine barrierefreie Infrastruktur und inklusive Bildung. Walter Hirrlinger hat als scheidender Ratsvorsitzender die Bundesregierung aufgefordert, ihren Widerstand gegen die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie aufzugeben. Diese Richtlinie verlangt vom Handel, von Ärzten und der Wohnungswirtschaft, mehr für die Barrierefreiheit zu tun als bisher. Staatliche Förderprogramme nach österreichischem Vorbild könnten Initiativen in diesem Bereich unterstützen.
Die Lobbyisten der Arbeitgeberverbände konnten die Ratifizierung der UN-Konvention nicht verhindern. Doch gegen die Initiative der Europäischen Kommission haben sie alle Geschütze aufgefahren, um die Berliner Politik gegen eine Mehrheit in Brüssel in Stellung zu bringen. Die Behindertenbewegung wird aufpassen müssen, dass konservative Politikerinnen und Politiker Deutschland in dieser Frage nicht in die Isolation treiben.
International ist noch zu beachten, dass der Vatikan den Welttag der Menschen mit Behinderungen zum Anlass nahm, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zu kritisieren. Weil sie kein ausdrückliches Verbot von Abtreibungen enthält, wird der Heilige Stuhl die Konvention nicht ratifizieren. Auf seiner Webseite hat Barack Obama vor seiner Wahl zum Präsidenten der USA ehrgeizige Ziele der von ihm verfochtenen Behindertenpolitik benannt und in einem Video („Plan to Empower Americans with Disabilities“) angekündigt, die Behindertenrechtskonvention zu ratifizieren.