Wiederbelebung des Persönlichen Budgets erforderlich
Grimma (kobinet) Unter dieser Überschrift veröffentlichte ForseA e.V. am Wochenende eine Bestandsaufnahme in Sachen Persönliches Budget. Darin listet der Verband zahlreiche Schwachstellen auf und erklärt damit aus seiner Sicht, warum das Persönliche Budget trotz zahlloser Werbemaßnahmen und wissenschaftlicher Begleitung nicht aus den Startlöchern kommt. Die kobinet-nachrichten sprachen mit dem stellvertretenden ForseA-Vorsitzenden Jens Merkel:
kobinet: Herr Merkel, was veranlasste ForseA zu dieser Veröffentlichung?
Merkel: Uns fällt auf, dass sich die vermeintliche Wahrnehmung der Bundesregierung in Sachen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention immer mehr von der Realität draußen im Land unterscheidet, darunter leidet auch das Persönliche Budget.
kobinet: Wie ist das zu verstehen?
Merkel: Es werden hohe Summen für Werbung und Forschung ausgegeben. Dabei sind die Schwächen des Persönlichen Budgets allerorts bekannt, daher sind auch die Mittel für die Werbung nicht sonderlich zielführend eingesetzt.
kobinet: Woran krankt das Persönliche Budget also tatsächlich?
Merkel: In unserem Sammelwerk Geschichten aus Absurdistan haben wir zahlreiche Beispiele veröffentlicht die zeigen, wie restriktiv Kostenträger noch in der heutigen Zeit mit Antragstellern umgehen. Einer Frau im Kreis Herzogtum Lauenburg werden seit Jahren Leistungen trotz eindeutiger Urteile zurückgehalten. Sehr viele Menschen haben bereits dort interveniert, darunter auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Die Sozialverwaltung zeigt sich davon unberührt und setzt ihre als Schikane empfundene Behandlung des Antrages fort. In einem anderen Fall in Bayern soll ein Budgetnehmer laut Entwurf der Zielvereinbarung als Nachweis über die Verwendung des Budgets ein Protokoll abgeben, in dem die Art der Verrichtung, Datum, Uhrzeit und Dauer festgehalten werden soll. Zusätzlich soll der Assistent die Eintragung mit seiner Unterschrift bestätigen.
kobinet: Wie kann man sich gegen eine solche Zielvereinbarung zur Wehr setzen?
Merkel: Eigentlich gar nicht. Denn wenn die Unterschrift verweigert wird, liefert man die besten Gründe für die Verzögerung des Verfahrens.
kobinet: Welche Möglichkeiten gibt es dann?
Merkel: Einfach, auch wenn’s schwer fällt, die Zielvereinbarung unterschreiben. Dann muss die Behörde einen Bescheid erlassen. Gegen diesen erst kann rechtlich vorgegangen werden. Daran sieht man eben auch, dass das Budget, angesiedelt im SGB XII, dort völlig fehl am Platz ist. Die uns zustehenden Nachteilsausgleiche müssen dringend raus aus der Sozialhilfe.
kobinet: Gibt es für diese Forderung eine rechtliche Grundlage?
Merkel: Selbstverständlich! Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist seit 2009 in Deutschland geltendes Recht. Als solches löst sie anderslautendes bisheriges Recht ab. Da sich unsere Behörden oft auf das Wort der Bundesregierung beziehen, bleibt nur der Klageweg. Die Rehaträger, zuvorderst die Sozialämter, benutzen die Aussage der Bundesregierung, um Zeit zu gewinnen und damit Geld zu sparen. Auf der anderen Seite können sich viele Menschen mit berechtigen Ansprüchen juristische Auseinandersetzungen zeitlich und finanziell nicht mehr leisten.
kobinet: Was steht nun also an?
Merkel: Wir fordern die getreue Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ohne Tricksereien, Verwässerungen und Verzögerungen. Dort, wo lediglich Gesetzesänderungen nötig sind, sofort. Dort, wo beispielsweise bauliche Veränderungen erforderlich sind, so bald als möglich. Vor allem fordern wir das Gesetz zur Sozialen Teilhabe, dessen Entwurf bereits im Mai der Öffentlichkeit und der Politik vorgestellt wurde.
kobinet: Herr Merkel, wir bedanken uns für das Gespräch!
Das Interview führte kobinet-Redakteur Gerhard Bartz
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