Klavierpedal mit den Zähnen steuern
Hilfe für querschnittgelähmte Musiker
Heidelberg (pte) – Pianisten, die durch Unfallfolgen querschnittgelähmt sind, können durch eine neue Erfindung ein Stück normales Leben zurückgewinnen. Ein Heidelberger Forscher entwickelte eine drahtlose Technik, die das rechte Klavierpedal aktiviert. Die Signale dafür werden vom Gebiss des Klavierspielers ausgelöst. Damit sind erstmals auch komplizierte Pedaltechniken möglich, bislang störende Kabel oder andere Hilfstechniken könnten bald verschwinden.
Rund 60.000 Personen sind in Deutschland von der Hüfte abwärts gelähmt, 1.500 neue Betroffene kommen jährlich dazu. Verursacht werden die Lähmungen je zur Hälfte durch Unfälle und Erkrankungen.
Auch wenn querschnittsgelähmte Klavierspieler zahlenmäßig eine kleine Gruppe bilden, wertet Rüdiger Rupp von der orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg im pressetext-Interview seine Erfindung als „großen Fortschritt“: „Sie ist zukunftsweisend für weitere Entwicklungen, die Querschnittgelähmten mehr Selbstbestimmung ermöglichen“. Das erkannte auch die Deutsche Stiftung für Querschnittlähmung, die Rupp den Innovationspreis 2008 verlieh.
Im Unterschied zu bisherigen elektromagnetischen Signalgebern, die auf kleine Muskelbewegungen von Ellbogens und Kopf oder auf Gehirnsignale reagieren, kann die Mundsteuerung viel mehr als nur Aus- und Einschalten: Sie erlaubt feine Abstufungen und analoge Signale. Für das Klavierspiel bedeutet das, dass der Pianist nun die Pedalstärke der jeweiligen Erforderung im Musikstück anpassen kann, auch Zwischenstellungen oder eine veränderte Pedalgeschwindigkeit sind möglich. „Der querschnittgelähmte Pianist kann somit die gleiche differenzierte Klangwirkung erzielen wie ein Nichtbehinderter“, betont Rupp.
Die Mundsteuerung – Ergebnis zweijähriger Entwicklung – geschieht über eine kleine Beißschiene auf dem Oberkiefer des Pianisten. Sie beinhaltet einen hochempfindlichen Sensor, der misst, wie stark die Kiefer aufeinandergedrückt werden. Grimassen und Anstrengungen seien dabei jedoch nicht nötig, denn der Sensor registriert „kleine Beißkräfte im Bereich unter zwei Kilo“, lässt Rupp wissen. Auf der Wangeninnenseite befindet sich eine Knopfzelle, deren Leistung für zwölf Stunden reicht. Per Funk werden die Signale zu einem Elektromotor an der Pedalerie des Klaviers übertragen.
Ein Bach-Präludium für Klavier war das Premierestück für den Prototyp der Steuerung, der bei der Preisverleihung einwandfrei funktionierte. Rupp rechnet damit, dass die Erfindung „in etwa zwei Jahren“ in Serienproduktion gehen werde, zu einem Preis, der „auch für querschnittsgelähmte Hobbypianisten leistbar“ sei. Das sei möglich durch den bewussten Einsatz günstiger Komponenten und ein heuer neu erschienenes Funkmodul der Firma Texas Instruments. Vor ihrer Inbetriebnahme braucht die Steuerung eine Anpassung an das jeweilige Gebiss und die individuellen Anforderungen des Pianisten, die der Zahntechniker vornimmt.