Niederlande erlauben auch Sterbehilfe bei Demenzkranken
„Das unvollendete Leben“
Es ist eines dieser schwer erträglichen Schicksale, das den höchsten Gerichtshof der Niederlande am 21.04.2020 zu einem wegweisenden Urteil zwang. Künftig darf das Leben eines Patienten auch dann mit aktiver Sterbehilfe beendet werden, wenn dieser an Demenz leidet und deshalb seinen eigenen Willen nicht mehr klar äußern kann.
Voraussetzung ist allerdings eine Patientenverfügung aus der Zeit vorher.
Es geht um den Tod einer 74-jährigen Niederländerin aus DEN HAAG, der 2016 von einer Ärztin des Pflegedienstes ein Medikament verabreicht wurde ein, Medikament verabreicht wurde, um Euthanasie (so die offizielle Bezeichnung in den Niederlanden) zu verüben.
"Ich möchte das gesetzliche Recht ausüben, mich zu Euthanasieren, wenn ich glaube, dass die Zeit reif ist",
hatte die Frau in ihrer Verfügung geschrieben.
Doch dann holte sie eine schwere Altersdemenz ein, die zu widersprüchlichen und verwirrenden Signalen führte.
Es habe Momente gegeben, in denen sie sterben wollte, schilderten die Angehörigen die Situation.
Nur wenige Augenblicke später mochte sie davon nichts mehr wissen.
In dieser dementen Phase erkannte sie schließlich ihr eigenes Spiegelbild nicht mehr, war ängstlich, traurig und die meiste Zeit unruhig.
Hinzu kamen Ausbrüche, bei denen sie sich selbst verletzte.
Die behandelnde Ärztin nahm Kontakt mit den Angehörigen auf, befragte Pfleger des Heims,
den Hausarzt und zwei weitere Fachmediziner, ehe sie den Tod einleitete.
Sie selbst wurde daraufhin wegen Mordes angeklagt und erst kurz vor dem jetzigen Urteil aus der Haft entlassen.
Es war die Staatsanwaltschaft, die den jetzigen Prozess angestrengt hatte, um den Grundsatz klären zu lassen:
Kann im Fall einer schweren Erkrankung darauf verzichtet werden, den ausdrücklichen und bewussten Willen eines Patienten einzuholen?
Es ist ein wachsendes Problem - nicht nur in den Niederlanden.
Aber das Land hat gemeinsam mit Belgien die liberalsten Sterbehilfe-Reglungen der Welt.
Mit dem Verzicht auf den eigenen Willen, eine der Grundvoraussetzungen für die Genehmigung des Antrags auf Euthanasie, wurde so etwas wie ein Tabubruch begangen, den die liberalen Demokraten von der Partei D66 sich schon im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben hatten.
Sie wollten zunächst nur erreichen, dass "auch alte, aber gesunde Menschen Sterbehilfe beantragen können,
wenn sie ihr Leben als vollendet betrachten", wie D66-Initiatorin Pia Dijkstra begründete.
Es führte zu einer neuen gesellschaftlichen Diskussion um die Frage, nach welchen Kriterien dem Wunsch nach dem eigenen Tod stattgegeben werden soll.
Was ist ein "vollendetes Leben"?
Bei einer Studie der Universität Utrecht stellte sich heraus, dass lediglich 0,18% der Bevölkerung dies von sich sagen würden -
und bei den meisten gab es keineswegs einen permanenten Todeswunsch.
Dennoch hat die Regierung eine Reform, die auf eine weitere Liberalisierung herauslaufen könnte, bis Juni in Aussicht gestellt.
Der Umgang mit Demenzkranken steht auf der Liste der Fragen, die beantwortet werden sollen, an oberster Stelle.
Assistierte Sterbehilfe
In Deutschland hatte erst kürzlich das Bundesverfassungsgericht durch ein wegweisendes Urteil eine Neuregelung der Sterbehilfe möglich gemacht. Die Richter hatten das Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmte Sterben festgestellt.
Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf die freiwillige Hilfe Dritter zurück zu greifen.
Allerdings bleibt anders als in den Niederlanden aktive Sterbehilfe - also Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze - verboten.
Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es selbst ein.
Fundquelle: Auszug – „ALTMARK-Zeitung“ April 2020