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Gendiagnostik-Gesetz gefährdet Neugeborene massiv

Das neue Gendiagnostik-Gesetz soll eigentlich die Rechte der Patienten auf Datenschutz stärken. Es gefährdet aber rund 500 Neugeborene in Deutschland mit angeborenen Stoffwechselstörungen und angeborenen Störungen der Hormondrüsen jährlich lebensbedrohlich. Das Gendiagnostikgesetz und seine rechtlichen Bestimmungen müssen deshalb sofort geändert werden. Diese Forderung haben der bundesweite Eltern-Dachverband Kindernetzwerk e.V. und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) in einer gemeinsamen Stellungnahme erhoben.

Alle Neugeborenen haben in Deutschland das unteilbare Recht auf die frühest mögliche Erkennung und Behandlung von seltenen angeborenen Stoffwechsel-Krankheiten oder Hormonstörungen, wie z.B. Unterfunktion der Schilddrüse. Unbehandelt führen diese Krankheiten zu Entwicklungsstörungen, Behinderungen oder sogar zum Tod des Kindes.

Die bisher durchgeführte Früherkennung am 5. Lebenstag mit der so genannten Tandem-Massenspektrometrie bietet hierfür eine hohe Sicherheit. Bislang wurden 99 Prozent aller Neugeborenen in Deutschland mit dieser Untersuchung erfasst. Europa beneidet Deutschland um die hohe Qualität dieses bisher flächendeckend durchgeführten Neonatalscreenings mittels einfacher Blutuntersuchung.

Wie sich aber erst jetzt herausgestellt hat, gefährdet das am 31. Juli 2009 in Kraft getretene Gendiagnostik-Gesetz (GenDG) durch die hierin vorgesehenen Einwilligungs- und Aufklärungsschritte rund 500 Neugeborene pro Jahr. Manche mit dem Neonatalscreening identifizierbaren Krankheiten können künftig nicht mehr wie bisher innerhalb kürzester Zeit nach der Geburt gezielt behandelt werden.

Entgegen den Fachgutachten renommierter Stoffwechselexperten der Kinder- und Jugendmedizin, aber auch im Widerspruch zu drei Empfehlungen des Bundesrates vom 29.09.2008, 10.10.2008 und 11.05.2009 hat die Bundesregierung aus Datenschutzgründen ein Gesetz erlassen, das hohe Rechtsunsicherheiten für Gynäkologen, Hebammen sowie Kinder- und Jugendärzte (vor allem Neonatologen und Stoffwechselexperten der Kinderheilkunde) erzeugt. Eltern werden ohne Not in eine unsichere Lage versetzt. Sie müssen sogar im Einzelfall mit einem behinderten Kind rechnen.

Warum ist das so? Anders als die Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft oder die Blutgruppen- und Rhesusfaktor-Bestimmung bei der Mutter und beim Neugeborenen unterliegt das Neonatalscreening nun dem Gendiagnostik-Gesetz.

Welche Folgen hat das? Ein Speziallabor darf künftig eine Stoffwechseluntersuchung beim Neugeborenen erst dann vornehmen, wenn die schriftliche Einwilligung dazu von den Eltern vorliegt. Das Speziallabor darf nur die verantwortliche ärztliche Person, die die Aufklärung durchgeführt hat, über den Laborbefund informieren. Aufklärung und Einwilligung sowie Befundmitteilung für das Neugeborenen–Screening dürfen nur noch durch einen Arzt erfolgen, obwohl der Gesetzgeber weiß, dass die meisten Mütter bei normaler Entbindung bereits am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt die Klinik verlassen. Der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt sieht das Neugeborene aber erst wieder ambulant am 7.-10. Lebenstag zur zweiten Früherkennungsuntersuchung (U2).

Damit ist nicht mehr gewährleistet, dass in jedem Fall die Diagnose einer angeborenen Stoffwechselkrankheit direkt zu den Eltern gelangt und im Einzelfall eine lebensrettende Therapie sofort beginnen kann. Bei manchen Neugeborenen ist bei Vorhandensein einer speziellen Stoffwechselkrankheit aber die sofortige Aufnahme in eine spezialisierte Kinderklinik erforderlich, unter Umständen sogar eine Intensivbehandlung. Geschieht dies bei einem besonders schwer von einer seltenen Krankheit betroffenen Neugeborenen nicht, wird es sterben.

Darüber hinaus wird fast jede vierte Geburt in Deutschland von rund 4.500 frei beruflichen Hebammen betreut. Man spricht von inzwischen bis zu 150.000 Neugeborenen („Das Parlament“, Juli 2010). Die Hebammen stehen also künftig genauso wie die Ärzte vor einem Chaos von kontraproduktiven Gesetzesbestimmungen:

  • Kindernetzwerk und DGSPJ wenden sich ausdrücklich gegen die gesetzlichen Regelungen im GenDG, wie sie die Bundesregierung an den kinder- und jugendärztlichen Fachgesellschaften sowie den Eltern – Selbsthilfeverbänden vorbei und auch entgegen den Empfehlungen des Bundesrates in Kraft gesetzt hat.
  • Kindernetzwerk und DGSPJ fordern die Bundesregierung auf, das Neonatalscreening durch Gesetzesänderung unverzüglich aus dem GenDG herauszunehmen, die „Kinderrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)“ aus dem Jahr 2005 zu respektieren sowie das Kindeswohl entsprechend der UN-Kinderkonvention (Art. 24) zu sichern.
  • Kindernetzwerk und DGSPJ werden bundesweit den Erhalt des Neonatalscreenings nach den bisherigen bewährten Standards öffentlich einfordern. Denn es widerspricht Art. 2 (2) des Grundgesetzes, Gesetze am Kindeswohl vorbei zu erlassen.

Im Namen der Vorstände von Kindernetzwerk e. V. (Univ. Prof. Dr. med. Dr. h. c. Hubertus von Voss, (1. Vorsitzender) und der DGSPJ Prof. Dr. med. Hans Michael Straßburg (Präsident)

(Gemeinsame Erklärung von Kindernetzwerk e.V. und Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, DGSPJ)

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