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Schwanger. Foto: redgular. Lizenz: CC0

Neue Hoffnung auf bessere Prognose einer schweren Hirnblutung des Fetus

In Deutschland sind jährlich etwa 500 Neugeborene von einer besonders schweren Erkrankung betroffen, der Fetalen/Neonatalen Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT). 50 dieser Kinder erleiden schwerwiegende Blutungen im Kopf, so genannte intracranielle Blutungen (ICB). Geeignete medizinische Gegenmaßnahmen gibt es bislang nicht. Die Ergebnisse intensiver Forschungsarbeiten der Arbeitsgruppe Immunhämatologie des Instituts für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) sollen jedoch dazu beitragen, in Zukunft besser vorhersagen zu können, ob ein Fetus in einer Folgeschwangerschaft eine solche schwere Hirnblutung erleiden wird oder nicht.


Prof. Dr. Ulrich Sachs von der JLU ist sich sicher, dass für das verhältnismäßig kleine Fachgebiet der fetomaternalen Inkompatibilität ein wichtiger Durchbruch erzielt werden konnte. Er erhofft sich – im Sinne der betroffenen Frauen und ihrer Kinder – deutliche Fortschritte nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Prophylaxe, wenn man künftig vorhersagen kann, ob ein Fetus in der Folgeschwangerschaft eine Hirnblutung erleiden wird oder nicht. „Die Entdeckung hat große Bedeutung für die Weiterentwicklung der Prognosemöglichkeiten hin zu einer flächendeckenden Vorsorge bei Schwangeren für die FNAIT“, so Prof. Sachs. „Unser gemeinsames Ziel ist die Entwicklung einer geeigneten Prophylaxe.“

Der Mediziner erläutert die medizinischen Zusammenhänge: Die meisten Mütter kennen den Rhesusfaktor aus ihren Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der Schwangerschaft. Dieser wird bestimmt, um zu erkennen, ob eine werdende Mutter Antikörper (Abwehrstoffe) gegen die Blutgruppeneigenschaft auf den Erythrozyten (roten Blutzellen) ihres Kindes ausbilden kann. Eine solche Antikörperbildung lässt sich durch geeignete Maßnahmen, die sogenannte „Rhesusprophylaxe“, verhindern. Wird dies versäumt, kann das Kind durch die mütterlichen Antikörper das Krankheitsbild des Morbus haemolyticus fetalis/neonatorum (kurz: MHN) entwickeln – mit lebensbedrohlichen Konsequenzen.

Weniger bekannt ist, dass eine solche Antikörperbildung auch gegen Blutgruppeneigenschaften auf Thrombozyten (Blutplättchen) möglich ist. Die dem Rhesusfaktor vergleichbare Blutgruppeneigenschaft heißt hier HPA-1a (humanes Plättchenantigen 1). Etwa zwei Prozent aller Menschen – also auch aller werdenden Mütter – besitzen das Merkmal HPA-nicht, und jede zehnte von ihnen entwickelt im Rahmen der Schwangerschaft einen Antikörper. In Deutschland sind etwa 1.500 Frauen pro Jahr betroffen.

Hat die werdende Mutter Antikörper ausgebildet, treten diese durch die Plazenta in den kindlichen Kreislauf über und führen dort zu einem raschen Abbau der Blutplättchen. Eine gefürchtete Folge sind schwerwiegende Blutungen, insbesondere in den Kopf (intracranielle Blutungen, ICB). Das Krankheitsbild wird Fetale/Neonatale Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT) genannt.

Das Team der Arbeitsgruppe Immunhämatologie der JLU ist der Frage nachgegangen, ob besondere Eigenschaften der mütterlichen Antikörper eine Rolle bei der Auslösung der intracraniellen Blutungen (ICB) im Kind spielen können. Die Blutgruppeneigenschaft HPA-1a befindet sich auf der sogenannten β-Kette des für die Blutgerinnung wichtigen Fibrinogen-Rezeptors auf Blutplättchen, αIIbβ3. Dieselbe Kette findet sich, gemeinsam mit einer anderen Partnerkette, aber auch auf Endothelzellen(Zellen, die die Gefäßinnenwand auskleiden): Das Molekül αvβ3 ist ein Rezeptor für Vitronektin und dient der Endothelzelle zur festen Verankerung an der Gefäßwand.

Bei allen Müttern, die Antikörper gegen HPA-1a ausgebildet haben und deren Kinder daher die schwerwiegende Erkrankung Fetale/Neonatale Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT) hatten, haben die Mediziner Antikörper gefunden, die mit β3 oder αIIbβ3 reagieren. Antikörper, die mit αvβ3 reagieren, waren hingegen ausschließlich bei Müttern zu finden, deren Kinder im Rahmen der FNAIT auch eine ICB erlitten hatten.

Biochemische und funktionelle Untersuchungen mit diesen drei verschiedenen Typen von Antikörpern zeigten, dass nur Antikörper gegen αvβ3 in der Lage sind, in Endothelzellen den programmierten Zelltod (bekannt als Apoptose; hier genauer: Anoikis) auszulösen – mit der Folge, dass nur diese Antikörper die Angiogenese, das heißt die Ausbildung von neuen Gefäßen aus endothelialen Zellen, verhindern (Arterioscler Thromb Vasc Biol 2016; 36(8):1517-24). Diese erstaunliche Beobachtung lässt den Schluss zu, dass die ICB vor allem eine Folge der beeinträchtigten Gefäßneubildung im Gehirn des Kindes ist.

Wenn sich diese Beobachtung an größeren Patientengruppen bestätigt, besteht durch einen Test auf Antikörper gegen αvβ3 künftig die Möglichkeit, das Risiko für eine schwere Hinrblutung (ICB) im Zusammenhang mit der Fetalen/Neonatalen Alloimmunthrombozytopenie zu erkennen. Die Entdeckung hat daher große Bedeutung für die Weiterentwicklung hin zu einer flächendeckenden Vorsorge bei Schwangeren für die FNAIT und für die Entwicklung einer geeigneten Prophylaxe.

Publikation
Sentot Santoso (Erstautor), Hevi Wihadmadyatami, Tamam Bakchoul, Silke Werth,
Nadia Al-Fakhri, Gregor Bein, Volker Kiefel, Jieqing Zhu, Peter J. Newman, Behnaz Bayat, Ulrich J. Sachs (Erstautor): Anti-endothelial αvβ3 antibodies are a major cause of intracranial bleeding in fetal-neonatal alloimmune thrombocytopenia im Fachjournal Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology
DOI: 10.1161/ATVBAHA.116.307281

(Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen, 10.8.2016)

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